Ob im lippischen Kalletal, in Spenge oder in Lügde: Seit 35 Jahren bereichern Bürgerbusse den öffentlichen Nahverkehr. Die Fahrzeuge mit bis zu acht Plätzen werden von Ehrenamtlichen gesteuert und machen die Menschen dort mobil, wo sich sonst keine „normale“ Buslinie rechnet. Doch nun stehen die Bürgerbusvereine vor einem im wahrsten Sinne des Wortes schweren Problem, das ihre Existenz und damit die Mobilität vieler Menschen bedroht.
„Durch technische Weiterentwicklungen, die Abgasreinigung, die Ausstattung, die Anforderungen für E-Mobilität oder die Vorgaben, beispielsweise für die Barrierefreiheit, werden die Bürgerbusse immer schwerer“, sagt Franz Heckens, Vorsitzender des Dachverbands „Pro Bürgerbus NRW“. Aus diesem Grund gerieten die Fahrzeuge schon seit einigen Jahren immer weiter gefährlich nah an das zulässige Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen. Nur bis zu dieser Grenze können die ehrenamtlichen Fahrer die Bürgerbusse mit ihrem Pkw-Führerschein steuern. „Wird die 3,5-Tonnen-Grenze überschritten, dürfen unsere Ehrenamtlichen die Wagen nicht mehr fahren, womit das ganze Bürgerbus-Konzept auf dem Spiel steht“, erklärt Heckens zusammen mit weiteren Vertretern der Bürgerbusvereine Spenge und Kalletal bei einem Treffen mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Stefan Schwartze und dem SPD-Landtagsabgeordneten Jürgen Berghahn, die sich der Sache annehmen werden.
Beispiel Bürgerbusverein Spenge: Hersteller lehnt Auftrag ab
Die Unterstützung der Politiker können die Bürgerbusvereine dringend gebrauchen. „Das ganze entwickelt sich immer mehr zu einem handfesten Problem“, macht Heckens klar. Ein Beispiel dafür sei der Bürgerbusverein Spenge. „Als wir ein Ersatzfahrzeug für unseren alten Bus brauchten, sind wir an einen der wenigen Hersteller für Bürgerbusse herangetreten und haben um ein Angebot gebeten. Doch dieser hat den Auftrag abgelehnt, weil das Fahrzeug nach all den Vorgaben, die wir erfüllen müssen und wollen, die 3,5-Tonnen-Grenze gerissen hätte. Da waren wir erst einmal sprachlos“, schildern Ilse und Hans-Egon Kirchhof vom Bürgerbusverein Spenge. „Wir müssen also inzwischen wirklich Angst haben, dass wir von den Herstellern keine Fahrzeuge mehr bekommen, die unsere ehrenamtlichen Fahrer steuern dürfen“, ergänzt Volker Aust vom Bürgerbusverein Kalletal.
Dass die Wagen immer schwerer würden, habe mit Vorgaben zu tun, die unter anderem die Barrierefreiheit betreffen. „Wenn Bürgerbusvereine ein neues Fahrzeug kaufen wollen, können wir Fördergelder des Landes in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist seit einigen Jahren aber, dass das Fahrzeug barrierefrei ist und von Rollstuhlfahrern, Menschen mit Rollatoren oder Kinderwagen problemlos genutzt werden kann. Das finden wir auch völlig richtig und sehr sinnvoll, da die Bürgerbusse besonders von älteren Menschen genutzt werden“, erklärt Heckens. Um die Barrierefreiheit zu gewährleisten, seien absenkbare und mit Rampen ausgestattete Niederflurbusse geradezu ideal. Das sowie der für Rollstühle & Co. benötigte Platz mache die Fahrzeuge allerdings schwerer und mitunter auch größer, was sich wiederum auf das Gewicht auswirke.
Die Lösung: eine Ausnahmegenehmigung wie für Feuerwehren & Co.
„Um Gewicht zu reduzieren, sind in der Vergangenheit schon leichtere und schmalere, aber wesentlich unbequemere Sitze verbaut worden. Das spart allerdings nur minimal Gewicht ein und geht zu Lasten des Komforts“, erklärt Aust. „Es wurde und wird von den Herstellern sogar angeboten, einen Sitze ganz wegzulassen. Doch das geht eigentlich nicht. Wir können auf keinen der acht Sitze verzichten“, sagt Aust und verweist auf die stolze Zahl von rund 1,5 Millionen Fahrgästen, die die 140 Bürgerbusprojekte in NRW hochgerechnet pro Jahr befördern.
Stattdessen schwebe dem Verband eine anderen Lösung vor: eine Ausnahmeregelung für die Bürgerbusfahrer. „Diese gibt es im Katastrophenschutz, beispielsweise für die Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk“, sagt Heckens. Diese Verordnung erlaube es Einsatzkräften, Fahrzeuge bis zu 4,75 Tonnen zu steuern. „Eine solche Ausnahmegenehmigung könnten wir uns auch vorstellen“, sagt Heckens.
Der Knackpunkt: EU-Recht muss geändert werden
Doch die zu bekommen ist offenbar wesentlich schwieriger als man es sich vorstellt. Denn zunächst müsse EU-Recht geändert werden, ehe Bund und Länder tätig werden könnten. Deshalb hatte sich der Bürgerbusverein Spenge mit einer Petition an den Bundestag gewandt, um der Forderung nach einer Ausnahmegenehmigung Nachdruck zu verleihen. „Das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium zieht sich aber bisher darauf zurück, dass es ja schon einmal auf EU-Ebene versucht habe, eine entsprechende Ausnahmeregelung anzustoßen. Das ist natürlich keine zufriedenstellende Antwort“, sagt Schwartze. Um EU-Recht zu ändern, müssten zwar dicke Bretter gebohrt werden. „Doch wir müssen das jetzt angehen“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete. Schwartze werde auf Grundlage der Petition die Gespräche mit dem Verkehrsministerium suchen. „Wir wollen ja die Mobilitätswende. Und Bürgerbusse haben eine hohe Bedeutung für den ländlichen Raum.“ Darüber hinaus rät er den Bürgerbusvereinen, gezielt auf ihre Abgeordneten zuzugehen. „Die Bürgerbusse sind ein Erfolgsmodell und funktionieren nur durchs Ehrenamt. Eine Ausnahmegenehmigung muss möglich sein“, unterstützt der SPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Berghahn die Forderungen. „Es geht neben der Mobilitätswende auch um Ehrenamt, Engagement und Daseinsvorsorge.“ Berghahn möchte die Problematik in der Landtagsfraktion zum Thema machen, um die Bürgerbusvereine bei einer Lösung zu unterstützen.
Und die muss aus Sicht der Ehrenamtlichen dringend her. In Spenge fährt inzwischen zwar ein neuer Bürgerbus mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen durch die Ortschaften. Ein barrierefreier Niederflurbus ist das allerdings nicht. „Nur durch Zustimmung des zuständigen Behindertenbeauftragten konnten wir beim Kauf trotzdem die benötigte Förderung des Landes bekommen“, erklärt Kirchhof. Allerdings auf Kosten der Barrierefreiheit. „Das kann aber nicht das Ziel sein.“